Animalien und Gesichter


Frank Föckler in der Galerie Artraum

Bilder Hühner schauen uns an - sechs Hühnerköpfe, so intensiv und hellwach, dass sich die Frage nach dem Huhn im Menschen unwillkürlich stellt.

Hühner wie Du und ich, nicht in der charikaturesken Übersteigerung eines Peter Gaymann, sondern so wie Gott und/oder die Evolution sie schuf.

Eine winzige Wendung des Schnabels, eine kurze Kopfdrehung reichen aus für den tierpsychologischen Snapshot.

Und sie lassen uns - wo immer wir stehen - nicht aus den immer gleichen Augen. Könnte das die Kamera nicht auch? Eine Frage, die in Bezug auf der Malerei des so genannten Fotorealismus, der sich Frank Föckler zugehörig weiß, unbedingt berechtigt ist.

Es sollte etwas dazu kommen, eine Dimension, die dem schnellen Kamerablick entgeht, ja sich ihm bewusst entzieht und über den perfektionierten Trompe l` oeil-Effekt, den auch dieser Maler nach Kräften bedient, klar hinausgeht.

Frank Föckler, der das Leben auf dem Land der Stadt entschieden vorzieht, geht es ganz offensichtlich um die Würde des Tieres, das uns gemeinhin als dumm und banal erscheint, sodass wir uns über Legebatterien und Tier- Kzs allenfalls temporär erregen. Aber es geht ihm auch um die Würde der Walnuss.

So monumental und erratisch ist uns die Steinfrucht noch nie erschienen. Sie scheint in der Häufung förmlich auf uns zu zu rollen und hält doch zugleich in der Bewegung inne. Gleichsam eine "coincidentia opositorum", die dieses Bild beinahe zum Meditationsobjekt macht - es saugt den Blick an und hält ihn gleichermaßen auf Distanz: Eine augentäuschende Schwebe, wenn das Motiv mit seiner Holztextur den Betrachter auch förmlich erdet.

Einmal mehr feiert sich die seit der Renaissance sattsam ausgekostete Möglichkeit der Malerei, Illusionen von Raum und Plastizität auf die plane Fläche zu zaubern, Welt verblüffend zu reproduzieren. Um auf die Frage nach diesem Mehrwert ganz konkret zurück zu kommen: Im Fall der Nüsse wie der Hühner ist es ein befremdendes Neusehen des scheinbar allzu Bekannten, ein Neuentdecken von Welt im scheinbar banalen Detail. Nicht allein durch das probate Mittel der Monumentalisierung.

Diese Bilder - gerade die Großstillleben - sind für die Fernsicht gemalt. Der Blick wandert, ohne konkreten Fixpunkt über die reliefhaft schründige Struktur der Nüsse, die nicht der Textur entspricht - Föckler trägt nur bei seinen Schwarzwälderkirschtorten dick auf.

Gehen wir näher heran - der oft erprobte Effekt - werden Pflaumen, Äpfel und Nüsse zur peinture pure. Man könnte auf die malerischen Finessen eingehen, die Föckler sehr kalkuliert zum Einsatz bringt: die Aufhellungen am Rand der Dinge, die Grünwerte und roten Schlieren in der Binnenstruktur. Was mich bei diesen beinahe barocken Augentäuschungen mehr interessiert, ist die Liebe zum Detail, der ins Detail vernarrte, sich ins Ding saugende Malerblick. Dinge und Tiere gewinnen in dieser Oberflächen-scharfen, Texturen und Strukturen überausexakt heraus modellierenden Wahrnehmung eine neue Dignität.
Wie aber sieht es mit dem Menschen aus?

Da gibt es mimische Studien mit einem Touch von Liz Tailor, in denen, wie der Maler sagt, er eigene Erregungen in Star-Gesichter spiegelt. Und jenes "aufsichtige" Massenbild, das seinen motivischen Anlass leicht verrät:

Die Duisburger Love Parade von 2010, bei der 21 Menschen umkamen. Man kann sich fragen, ob ein solcher Anlass einen malerischen Rekurs dieser Art rechtfertigt, bei dem es, ganz offensichtlich eher um kompositorische und farbliche Extrakte geht.

Das Ganze als Briefmarken-großer Ausschnitt aus einem Pressefoto beschreibt den Augenblick, wo pure Lebensfreude in plötzliche Panik und Todesangst umschlägt. Solche "Kippmomente" interessieren den Frank Föckler. Ihre Wahrnehmung möchte er mit den Mitteln der Malerei verstärken - in diesem Fall durch das Mittel der Distanzierung. Das Gegenteil von Empathie.

Eben das, was die mediale Bilderflut gerade im Fall von Katastrophen recht eigentlich evoziert. Eine Provokation, bei der man sich fragen kann, ob sie ihren Adressaten erreicht. Eine Provokation ganz anderer Art ist sein Collage-hafter Exkurs in die Kunstgeschichte.

Das vor dem Spiegel stehende Schankmädchen aus Eduard Monets berühmten Gemälde "Un bar aux Folies-Bergère" (im Institut Courtauld) zu übertragen kam ihm auf einer Schiffskreuzfahrt. Erinnertes "Bild-Personal" mischt sich im Spiegel mit Stars und royalen "Celebrities", denen sich auch der Maler zugesellt - einen Kindetraum ironisierend: "Einmal einer von ihnen sein!" Man fragt sich, was dieses Bild über den kuriosen Effekt hinaus eröffnet.

Einen retrospektiven Blick in die Gegenwart?
Die Frage nach dem Künstler als Außenseiter?
Nach der Dialektik von Tiefe und Oberfläche - auch auf den Gesichtern?
Oder überwiegt doch der plakative Effekt?

Die Frage geht an den Betrachter!
Tiefer angelegt scheint mir das Stillleben als pars pro toto, etwa in Gestalt der zwei Springerstiefel, die unwillkürlich an van Gogh erinnern. Sie stehen auf lockeren Pflastersteinen. Ein Schuh-Stilleben mit weißen und roten Nelken. Wer dächte da nicht an die Ukraine? Vieles steht da ungesagt hinter den Dingen:

Die Hoffnung auf Frieden und Veränderung - die Blumen, die längst Realität gewordene Gefahr des Kampfes: Die Militärstiefel und die zu (handfesten) "Lösung" bereiten Pflastersteine. Und die Frage "quo vadis"? die sich in der Gehrichtung der Schuhe ausdrückt.

Wie auch immer: Die Geschichte kommt auf uns zu!
Beachtliche Kunstfertigkeit verraten vor allem die Portraits von Freunden. Wie er das Dreiviertel-Antlitz eines Schauspieler-Freundes durch einen gewagten Bildschnitt kappt, den Hintergrund verunklart und zugleich Melancholie und Seelentiefe des Portraitierten durchscheinen - das verrät ein hohes Maß an Empathie und persönliche Anteilnahme.

Meines Erachtens das beste Bild dieser Ausstellung! Zwei Portraits älterer griechischer Freunde (einer zeigt verblüffende Ähnlichkeit zum größten Maler des vergangenen Jahrhunderts), sind demgegenüber vor allem Ausweis seiner Fähigkeit, ausgehend von der fotografischen Vorlage, Augenblicks-Befindlichkeit zu schildern. Auch hierin liegen noch viele originelle Möglichkeiten.

TortenbildIn seinen "kulinarischen Bildern", wie ich sie nennen möchte, spielt Föckler auf sehr unmittelbare Weise mit der von Arthur Schopenhauer sehr generell verurteilten (den "bösen" Willen animierenden) Sinnlichkeit insbesondere der Stillleben-Malerei.

Tortenstücke werden durch massiven Farbauftrag, in einem Fall auch durch konkave Plastizität, zu Objekten. Freilich, bei aller optischen Appetitlichkeit, zu Objekten eigener Ordnung: Niemand bisse gern in Farb-Sahne, noch weniger in Schokoladenhafte Diapositive oder in saftig pralle Kirschen imitierende Luftballons.

Ein Fetisch und touristischer Standard seiner Heimat, die (keinesfalls im Schwarzwald, sondern im fernen Bad Godesberg oder im schwäbischen Tübingen erfundene) Schwarzwälder Kirschtorte wird hier zum Gegenstand augentäuschender Ironie, auch wenn dies über den Trompe lóeil-Witz kaum hinausreicht.

Einfallsreichtum und maltechnische Begabung wird dem Maler Frank Föckler niemand absprechen.

Zu wünschen ist, dass ihm künftig originelle, maltechnisch überzeugende, den Effekt sublimierende Bildfindungen gelingen, die sich von den Aporien des Fotorealismus befreien, uns, im besten Sinne irritierend, auf "andere Gedanken" bringen.
Viel Glück dazu! Stefan Tolksdorf